Das Interview führten wir mit Christian O., ehemaliger Betriebsdirektor des VEB Leipziger Trikotagen.
Die eigene Zukunft hing in der Luft
„Ich saß ja nun auf zwei Böden. Auf der einen Seite war ich der in den Medien verhasste Betriebsdirektor, Bonze oder Funktionär – das war die allgemein öffentlich verbreitete Meinung. Auf der anderen Seite war ich mit meinem Bruder anspruchsberechtigt als Sohn des ehemaligen Komplementärs. So hatte ich die außerordentlich seltene Gelegenheit, wenn ich von der Treuhand aus dem Betrieb rausgeflogen wäre, konnte ich wenigstens durch die Hintertür herein kommen und sagen, dass ich anspruchsberechtigt bin – also ich hab auch Anspruch, den Betrieb zu übernehmen. Ich konnte also von zwei Seiten dort aktiv werden. Das entscheidende war nun, was Sinn macht und wie es weiter geht. Das die Fertigung nicht weiter ging, war abzusehen. Dann gab es dann in der Übergangsphase Kopfstände aller Art…
Die eigene Zukunft hing natürlich genauso in der Luft. Ich hab dann auch versucht, sämtliche Möglichkeiten auszuloten, ob es im Westen irgendeinen Betrieb gab, der sich eventuell mit beteiligen wollte, der praktisch die anderen Anteile übernehmen wollte. Die Auskunft war jedoch null. Gibt es irgendjemanden, der an der Immobilie Interesse hat. Es gab viele kühne Gedanken. Am Ende habe ich dann mit westdeutschen Partnern zusammen ein Projekt angefangen, bei dem wir mächtig auf die Nase geflogen sind – das wäre fast total schief gegangen. Sechs Partner sind insgesamt gescheitert und heute sitzt der siebente daran – das ist also bis heute ein ungelöstes Problem. Mein Problem ist das aber nicht mehr, da ich da mit einem blauen Auge raus bin.“
Euphorie nach der Wende
Entwicklung Leipziger Westen
„Die Industrie war schlagartig weg. Die ganze Entwicklungskapazität ist auf null gefahren. Die Leute sind auf die Straße gesetzt worden oder sind in den Westen gegangen. Da ist furchtbar viel platt gemacht worden, was nicht notwendig war. Dadurch, dass ziemlich viele Flächen industriell genutzt worden, war das wohnungsmäßig einer der absoluten Schwachpunkte in Leipzig. Über Schleußig und Plagwitz kommt jetzt aber wieder eine gewisse Attraktivität rein. Es gab auch einige alte Objekte in Plagwitz, die jetzt wieder aufgebaut oder saniert worden sind. Aber es gibt auch mindestens genauso viel in Plagwitz, was abgerissen wurde und nie wieder aufgebaut worden ist. Das wird vielleicht noch 10 bis 15 Jahre dauern, wenn das dann so anhält und nicht jemand auf die Idee kommt, alles auf die grünen Wiesen zu setzen, sondern wir brauchen ein paar intelligente Plätze in Leipzig, dann kann der Westen wieder gewinnen.“
(ma)